Friday, March 30, 2007

Hacke

Nein, nicht schon wieder ein Gartenthema!
Es ist vielmehr das Aufgreifen eines Themas, welches vor kurzem schon einmal einen Blogbeitrag, äh, provoziert hat.

Der Kakerlak

Die Geschichte der Kakerlaken ist die Geschichte einer Wanderung zum Menschen hin, in seine Keller, seine Kleiderschränke, Fernsehgeräte, Verteidigungsministerien. Und die Historie des Menschen ist die eines immer rücksichtsloser werdenden Kampfes gegen diesen unscheinbaren, bescheidenen, doch von überwältigender Zuneigung erfüllten Freund. Welches Tier hätte je so verzweifelt wie die Küchenschabe versucht, dem Menschen nahe zu kommen? Und welchen Wesens Liebe wäre schroffer, haßerfüllter zurückgewiesen worden?

Denn was sonst als selbstlose Liebe sollte die Schabe in die Nähe des Menschen treiben, von dem sie nichts anderes zu erwarten haben als Zerquetschung, Vergiftung, Vernichtung? Die Schabe ist wahrlich hart und geschickt genug, anderswo ihr Auskommen zu finden: Wer imstande ist, wochenlang vom Klebstoff einer Briefmarke zu leben, wem es nichts ausmacht, sich in größeren Dosen radioaktiv bestrahlen zu lassen, wer lässig immer neue Immunitäten gegen die aberwitzigsten Gifte entwickelt, der könnte auch fernab unserer Siedlungen leben, in Wäldern oder Sümpfen, auf Bäumen oder unter Steinen. Der hätte es nicht nötig, sich Jahr für Jahr in Umfragen nach den Beliebtheitsgraden verschiedenster Tiere auf den letzten Platz verbannen zu lassen, hinter Stechmücken und Ratten - obwohl er weder Blut saugt noch einen ekelnackten Schwanz hat.

Die verlogene Art, mit der sich gewisse andere Tiere beim Menschen beliebt zu machen verstehen, ist Schabensache nicht. Soll sie schwermütige Lieder singen wie das Rotkehlchen, welches auf diese Weise darüber hinwegtäuscht, wir zänkisch es ist? Soll sie Kinder aus reißenden Flüssen retten, wie Schäferhunde es tun, um die Gemeinheiten der Kampfhunde vergessen zu lassen? Soll es sich ein weiches Streichelfell wachsen lassen wie die Kaninchen, die nicht wollen, daß wir uns ihrer Sexsucht erinnern?

Nein, Schab` ist nicht schön, und Schab` lügt auch nicht. Schab` ist klein und braun. Seine Beine sind kurz, still ist sein Wesen, und süchtig ist er allenfalls nach Wärme. Schüchtern flieht der Sensible, schon winzigste Erschütterungen des Bodens spürend, sobald wir nahen. Dabei sehnt er sich so danach, einmal auf unseren Händen krabbeln zu dürfen wie etwa ein Siebenpunkt oder zur Abwechslung eine Schachtel mit grünen Blättern zu bewohnen wie einst unsere Maikäfer. Aber immer sausen Scheuerlappennieder und Holzpantinen!

Ach, Schabenleben, Schabentod. Stets ist die Küchenschabe hungrig - nach Zuwendung und nach Viktualien, welche der Mensch in geschworener Feindschaft nun schon seit längerem in Kühlschränken und Gefriertruhen ihrem Zugriff eiskalt entzieht. Surinamische Kakerlaken fraßen einst dem Naturforscher Bory de Saint Vincent die Sohlen seiner neuen Stiefel ab, während er mit dem Gouverneur von St. Helena speiste - hätte dieser feine Herr nur einen Brocken fallen lassen, wäre das nicht nötig gewesen! Seitdem aber wissen die Schaben, daß man, wenn es not tut, auch von Holzwolle leben kann und von Schaumstoffresten, ja, daß man im Grunde die ganze Welt essen könnte, wären ihre Bestandteile nicht so unförmig und groß, sondern ein wenig schabenmundgerechter.

Eigentlich hat noch kein Mensch ein stichhaltiges Argument gegen die Anwesenheit von Kakerlaken in seiner Umgebung vorbringen können - außer hochneurotischen Ungezieferphobien, deren Ursachen aber im Menschen liegen, nicht in der Schabe. Dafür, daß sie nicht so schön sind wie Schmetterlinge, können die Tiere nichts, und ihre Vermehrungswut, die ihnen oft angekreidet wird, ist nichts als reine Notwehr gegen die Vernichtungsorgien der Kammerjäger.

Kakerlaken leiden sehr unter dem verzweifelten, hektischen, zweckbestimmten Sex in kalten Mauerritzen und hinter schmucklosen Fußbodenleisten, ausschließlich im Dienste der Produktion von Nachwuchs, besessen vom Horror, die Art könnte im Kampf mit dem Menschen doch aussterben, und immer voller Furcht, in der kurzen Unaufmerksamkeit während eines schalen kleinen Schabenorgasmus von einem feuchten Handtuch erschlagen zu werden. Schaben sehnen sich nach einer erfüllten, liebevollen, angstfreien Sexualität. Man weiß von zentralamerikanischen Arten, bei denen sich Mann und Frau gegenseitig putzen, mit den Fühlern zärtlich streicheln und in einer Ehe zusammenleben. Kein anderes Kerbtier kümmert sich mit einer solchen Hingabe um seine Angehörigen, und es gibt übrigens Schaben, die - als einzige Insektenart! - ihre Kinder im Uterus mit einer Art Muttermilch nähren.

Ist es nicht Zeit, diese Dinge zur Kenntnis zu nehmen? Zeit, die grausame Zurückweisung der Küchenschabe zu beenden? Zeit für eine neuen Anfang zwischen Kakerlak und Mensch, hohe Zeit?

Axel Hacke

aus: Hackes Tierleben, Verlag Antje Kunstmann, München 1995

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